"Das Leben fing im Sommer an": Romandebüt von Christoph Kramer
Christoph Kramer, Fußballweltmeister von 2014, hat sich seinen Traum vom eigenen Roman gekonnt erfüllt: "Das Leben fing im Sommer an" ist eine gelungene Coming-of-Age-Geschichte.
Ein freundlicher 15-Jähriger, immer hilfsbereit und liebenswert, auf der Flucht vor zwei Polizisten. Das Blaulicht zuckt durch die Fenster der Düsseldorfer Disco, die Christoph und sein bester Freund Johnny vor zwei Stunden mit den weit aufgerissenen Augen staunender Kleinstädter noch recht schüchtern betreten haben. Jetzt aber: die große Verfolgungsjagd, durch einen verborgenen Kellerschacht wieder hinaus ins Freie …
Ein Schuss wie ein Donner - oder ein Donner wie ein Schuss? -, so laut, wie ich es noch nie gehört hatte. Alles in meinem Körper gefror. Und jedes Haar in meinem Körper richtete sich auf, als hätte ich in eine Steckdose gegriffen. Ich schaute Johnny erschrocken an. Er mich. Johnny und ich schmissen uns zeitgleich auf den Boden. Auf den Bauch. Und streckten alle Viere von uns. Leseprobe
Die erste heftige Verliebtheit
Dieser verpeilte Junge, ein Zehntklässler aus Solingen, der doch eigentlich nicht nur zu anständig, sondern auch viel zu unsicher und vergrübelt ist, um je Verbotenes auch nur ins Auge zu fassen - was hat ihn in diese missliche Lage gebracht? Natürlich die eine grundstürzende Kraft im Leben: die Liebe, die erste heftige Verliebtheit und alles an Chaos, was aus ihr folgt. Wie ein Blitz fährt sie mit nervenzerfetzender Spannung ins Leben des Heranwachsenden, das jetzt, so empfindet er es, eigentlich erst so richtig anfängt.
Ich wollte feiern, und zwar das Leben. Dass sich alles doch noch zum Guten gewendet hatte. Trotz meiner Pickel, trotz aller meiner Sorgen, dass sich nie ein Mädchen in mich verlieben würde. Und trotz dieser ganzen Nächte, in denen ich nicht in den Schlaf gefunden hatte. Ich dachte oft über den Sinn hier auf der Erde nach. Fand ihn nicht. Gerade spürte ich ihn. Dank Debbie fühlte es sich hier unten sinniger an. Ich fühlte die Verbindung mit ihr. War dieses Gefühl der Sinn des Lebens? Leseprobe
Ein junger Mensch auf der Suche nach Glück
Um es gleich zu sagen: Alle biografischen Eckdaten des Ich-Erzählers - Name, Herkunft, fußballerische Sozialisation - stimmen mit denen des Autors überein, und doch genießt Christoph Kramer die Aura des geheimnisvollen Dichters, wenn man ihn fragt, wie viel von ihm selbst in seinem Buch stecke: "Von den Gefühlen her würde ich sagen: an die hundert Prozent. Was den ganzen Roman betrifft, würde ich sagen 70, 80 Prozent. Aber niemand, nicht einmal meine Eltern, wissen, was wirklich stimmt und was nicht, und das wird auch immer mein Geheimnis bleiben."
Es ist aber in den Einzelheiten auch gar nicht wichtig, weil tatsächlich alles an dieser Geschichte stimmt. Natürlich ist sie schon tausendmal erzählt worden: Der junge Mensch, der an sich selbst zweifelt und an der Möglichkeit des Glücks, ehe es ihm unverhofft in den Schoß fällt. Woraus dann aber sofort neues Unglück entsteht, zunächst, weil er sich zunehmend verzweifelt sorgt, dass das Glück bald wieder vorbei sein könnte, und dann, weil sich diese Sorge brutal bestätigt - ja, das ist eine alte Geschichte. Aber sie ist eine gute Geschichte, weil sie uns allen schon einmal widerfahren ist. Und wenn sie ehrlich und ohne Schnörkel, mit Gefühl, aber ohne Pathos erzählt wird, dann macht sie Freude, weil man sich in ihr erkennt. Weil man sich gemeint fühlt und ernst genommen.
"Das Leben fing im Sommer an": Ein doppelbödiger Roman
Dieses Buch weckt die Erinnerung an eine große, beängstigende, prägende Zeit im Leben, in der Euphorie und Panik immer ganz nah beieinander liegen. Man liest das mit Wehmut und Erleichterung zugleich: Ach, was war das für eine schöne Zeit! Und: Ach, wie gut, dass diese schreckliche Zeit überstanden ist! Ein doppelbödiger Roman also, gut konstruiert, mit leichter Hand geschrieben, getragen vom Glauben an magisches Denken. Chris sitzt ganz allein mit Debbie im Kino und fragt sich: Ja, und jetzt?
Mein Handy war in meiner linken Hosentasche. War es nach 20 Uhr, würde ich Debbies Gesicht sofort in beide Hände nehmen und küssen. War es vor 20 Uhr, würde ich bis zum Ende des Films warten und versuchen, sie zum Abschied zu küssen. Ich holte mein Handy heraus und schielte darauf, ohne meinen Kopf zu bewegen. Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Die Ziffern auf dem blauen Display sprangen genau in jener Sekunde von 19:59 auf 20:00 Uhr. Leseprobe
Von Kramer kommt hoffentlich noch mehr
Christoph Kramer hat sich seinen Traum vom eigenen Roman gekonnt erfüllt. Und da er hier und da noch einen Erzählfaden scheinbar achtlos am Boden hat liegen lassen, darf man annehmen: Er ist noch nicht fertig, da kommt noch mehr von ihm. Das ist nicht nur eine Vermutung, es ist eine Hoffnung.
Das Leben fing im Sommer an
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Kiepenheuer & Witsch
- Bestellnummer:
- 978-3-462-00798-5
- Preis:
- 23 €
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Romane
